Inhalt
Die effektive Diagnostik und Behandlung von psychischen Problemen setzt ein valides Beschreibungssystem voraus. Leider weisen aktuell gültige Klassifikationssysteme für psychische Störungen (DSM und ICD) grundlegende Mängel auf. Beispielsweise ist die grobe Einteilung in Personen mit und ohne psychische Störung fragwürdig und unterschlägt die vorhandenen feinen Abstufungen im Schweregrad der Beeinträchtigung. Außerdem entspricht die Zuordnung der einzelnen Probleme zu Störungseinheiten nicht deren tatsächlicher empirischer Kovariation in Selbst- und Fremdbeschreibungen.
Für den Bereich der Persönlichkeitsstörungen wurde daher ein alternatives Modell in Teil III des DSM-5 entwickelt, das dimensionale Unterschiede in Schweregrad und Art der Problematik abbildet und eine Brücke zur grundlagenwissenschaftlichen Persönlichkeitsforschung schlägt. Mit der Entwicklung einer Hierarchischen Taxonomie der Psychopathologie (HiTOP) wird dieser Paradigmenwechsel aufgegriffen und auf die Gesamtheit psychischer Probleme ausgeweitet. Das HiTOP Konsortium ist ein Zusammenschluss von über 100 Wissenschaftler:innen, die gemeinsam an einem empirisch fundierten Beschreibungssystem für psychische Probleme arbeiten. Die methodischen Grundprinzipien von HiTOP bestehen darin, einzelne Probleme gemäß ihrer empirischen Kovariation zu diagnostischen Einheiten zusammenzufassen, diagnostische Einheiten entsprechend ihrer Breite auf verschiedenen Hierarchieebenen anzuordnen (von eng definierten Symptomkomponenten bis hin zu störungsübergreifenden psychopathologischen Spektren) und individuelle Unterschiede in der Ausprägung von diagnostischen Einheiten dimensional zu erfassen.
Das aktuelle HiTOP Arbeitsmodell umfasst auf übergeordneter Ebene sechs Spektren: das somatoforme, internalisierende, enthemmt-externalisierende und antagonistisch-externalisierende Spektrum sowie Denkstörungen und Verschlossenheit. In der Veranstaltung wird zunächst geklärt, was genau an den aktuell gültigen Klassifikationssystemen für psychische Störungen problematisch ist und was man zur Lösung dieser Probleme von den dimensionalen Modellen für Persönlichkeitsstörungen in DSM-5 Teil III und ICD-11 lernen kann. Im Anschluss werden die Grundprinzipien und wichtigsten Forschungsergebnisse des HiTOP Konsortiums vorgestellt und es wird geklärt, welche Implikationen damit für die diagnostische Praxis verbunden sind. Schließlich wird die Anwendung des aktuellen HiTOP Arbeitsmodells anhand von Fallvignetten in Kleingruppen erprobt.
Schlüsselworte
HiTOP, Diagnosesystem, Dimensionale Diagnostik, Psychopathologie, Psychotherapeutische Diagnostik, Psychologische Diagnostik
Veranstaltungsnr.: 3297